Die historischen Wurzeln des Bürgerkriegs in Sri Lanka

Angesichts weit verbreiteter Opposition gegen den Krieg unter singhalesischen wie auch tamilischen Arbeitern hat die srilankische Präsidentin Chandrika Kumaratunga über das gesamte Land das Kriegsrecht verhängt. Umfassende Notstandsgesetze wurden in Kraft gesetzt. Demonstrationen und Streiks sind seither verboten, und die Medien unterliegen einer politischen Zensur. Hinzu kommen drakonische wirtschaftliche Maßnahmen, mit denen die Last der wachsenden militärischen Krise direkt der Arbeiterklasse aufgebürdet werden soll.

Die Volksallianz-Regierung unter Kumaratunga - äußerst unbeliebt und zunehmender sozialer Unruhe ausgesetzt konnte bisher nur überleben, weil sie von den sogenannten "linken" Parteien unterstützt wird. Die meisten, wie etwa die Kommunistische Partei und die Lanka Sama Samaja Partei (LSSP) sind sogar Bestandteil der Regierungskoalition. Im Zusammenwirken mit den Gewerkschaften unterdrücken sie Arbeitskämpfe, die zur Verteidigung von Löhnen oder Arbeitsbedingungen anstanden, und sorgen für die Einhaltung von Kumaratungas undemokratischen Erlassen.

Da der politische Informationsstand heute allgemein recht niedrig ist, wird das Debakel der srilankischen Regierung zumeist lediglich als eine Schlagzeile mehr angesehen, der keine weitere internationalen Bedeutung zukommt. Die internationalen Medien enthalten, insoweit sie überhaupt über die Ereignisse in Sri Lanka berichten, keinerlei Hinweise auf deren historischen Hintergrund.

Und doch ist die gegenwärtige Lage das zwangsläufige Ergebnis eines halben Jahrhunderts qualvoller politischer Entwicklung. Die tragische Evolution Sri Lankas von der Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg hin zum blutigen Bürgerkrieg, der bereits Zehntausende Menschenleben gekostet hat, ist für die internationale Arbeiterklasse von außerordentlicher politischer Bedeutung.

Sri Lanka (früher Ceylon genannt) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen. Das Besondere an Ceylon war allerdings, dass dort die politisch fortgeschrittenste Arbeiterbewegung der Welt beheimatet war.

In auffallendem Gegensatz zu anderen zurückgebliebenen Ländern, die nach Unabhängigkeit strebten, war hier eine wahrhaft revolutionäre sozialistische Partei geschaffen worden. Die LSSP, die 1935 als radikale anti-imperialistische Organisation entstanden war, hatte sich stetig nach links entwickelt. Sie hatte die Stalinisten, die sich während des Zweiten Weltkriegs mit dem britischen Imperialismus verbündet hatten, ausgeschlossen und sich eine internationalistische Perspektive zu eigen gemacht.

1940 trat die LSSP in die Bolschewistisch-Leninistische Partei Indiens (BLPI) ein. Sie verstand, dass die ceylonesische sozialistische Bewegung nur als Bestandteil einer ganz Indien umfassenden revolutionären Bewegung Fortschritte machen konnte. Nach ihrem Anschluss an die trotzkistische Vierte Internationale entrang die LSSP den Stalinisten die Führung des anti-imperialistischen Kampfes, an dem sich damals Massen beteiligten, und gewann die besten Kräfte aus der Arbeiterklasse und der Intelligenz für den sozialistischen Internationalismus.

So wurde eine einmalige, mächtige Tradition geschaffen. Die Arbeiterbewegung wurde gelehrt, den Kampf gegen den Imperialismus auf den internationalen Klassenkampf zu basieren und die demokratische Pose der nationalen Bourgeoisie zu durchschauen. Im Gegensatz zu den Bestrebungen sowohl der singhalesischen als auch der tamilischen herrschenden Elite widersetzte sich die Arbeiterbewegung jeder Form von spalterischer Intoleranz und Separatismus.

1948 legte die ceylonesische Bourgeoisie gezielt die Saat für Zwietracht innerhalb der Arbeiterklasse. Um die singhalesische Mehrheit von der tamilischen Minderheit zu spalten, begründete sie ihren neuen Staat auf eine Spaltung der Gesellschaft nach Sprache und Abstammung. Das neue Gesetz über die Staatsbürgerschaft schloss die tamilischen Plantagenarbeiter, die in großer Zahl von den Briten als Vertragsarbeiter aus Indien geholt worden waren, von allen Bürgerrechten aus. Während sich die tamilische Führung im Norden und Osten des Landes fügte, verurteilte der LSSP-Vorsitzende Colvin R. de Silva das "Prinzip der Abstammung als primäres Prinzip der Staatsbürgerschaft" und warnte, die "Gleichsetzung von Nation und Rasse" könne nur der Reaktion in die Hände spielen.

Die srilankischen Trotzkisten gewannen unter der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen des Inselstaates großen politischen Einfluss. Sie führten wichtige Kämpfe und eroberten eine Reihe von Parlamentssitzen. Doch innerhalb weniger Jahre sollten sie dem tragischen Weg folgen, den ihre Vorläufer in der deutschen Sozialdemokratie bereits zur Jahrhundertwende eingeschlagen hatten. Ursprünglich hatte sich die LSSP der von der britischen und srilankischen Bourgeoisie geschaffenen reaktionären Staatsstruktur widersetzt. Doch nun begann sie sich daran anzupassen.

Die politische Degeneration der LSSP hing mit internationalen Umständen zusammen, die sich äußerst ungünstig auf Wachstum und Festigung einer internationalistischen Tendenz auswirkten. Die trotzkistische Bewegung war isoliert, weil der Stalinismus in der UdSSR fest im Sattel saß und die Bürokratie die Lüge aufrechterhalten konnte, dass sie die russische Revolution und den Sozialismus verkörpere. Darüber hinaus führte die beginnende wirtschaftliche Stabilisierung des Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg, die wiederum in erheblichem Maße durch die weltweiten Verrätereien des Stalinismus ermöglicht worden war, zu einem Abflauen des revolutionären Aufschwungs der Arbeiterklasse und der unterdrückten Massen.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in der Vierten Internationale eine zunehmende politische und theoretische Krise. Eine opportunistische Strömung - geführt von Michel Pablo und Ernest Mandel, die Führungspositionen in der Vierten Internationale in Europa innehatten - begann sich an die augenscheinlichen Erfolge des Stalinismus, der Sozialdemokratie und des bürgerlichen Nationalismus anzupassen. Sie wiesen die Grundvoraussetzungen des marxistischen Internationalismus zurück: die revolutionäre Rolle der Arbeiterklasse, die Notwendigkeit ihrer politischen Unabhängigkeit von den Parteien der Bourgeoisie und der Mittelklasse, und die unersetzliche Rolle der revolutionären Partei, die sich auf die programmatischen Grundsätze und historischen Lehren aus dem Kampf gegen den Stalinismus und die Sozialdemokratie begründet.

Der nationalistische Niedergang der LSSP wurde zum Auslöser schrecklicher Ereignisse. 1964 verübte sie ihren großen Verrat. Sie vollendete ihren Bruch mit dem Trotzkismus, indem sie eine bürgerliche Koalitionsregierung mit der Sri Lanka Freedom Party (SLFP) unter Frau Bandaranaike bildete.

Im Jahr 1971 beteiligte sie sich in ihrer Rolle als Mitglied einer zweiten Koalitionsregierung an der gewaltsamen Niederschlagung eines Jugendaufstands, der von der Janatha Vimukti Peramuna (JVP) angeführt wurde. Die JVP war eine maoistische Abspaltung von der stalinistischen Kommunistischen Partei. Sie stützte sich auf radikalisierte Schichten arbeitsloser und bäuerlicher Jugendlicher. Etwa 10.000 junge Menschen wurden niedergemetzelt.

Doch das vielleicht schändlichste Kapitel in der Degeneration der LSSP fällt in das Jahr 1972, als sie gemeinsam mit der SLFP die Verfassung dahingehend abänderte, dass der singhalesische Chauvinismus noch verstärkt wurde. Die neue Verfassung erhob das Singhalesische zur Staatssprache und den Buddhismus zur Staatsreligion.

Seither ist einige Zeit vergangen, so dass die Lehren aus diesen Erfahrungen vielleicht nicht mehr sehr geläufig sind. Dennoch haben sie nichts an Dringlichkeit eingebüßt.

In der Periode ihres Aufstiegs kämpften die Trotzkisten für den Zusammenschluss der singhalesischen und tamilischen Arbeiter in einem gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus. Sie stützten sich dabei auf die strategischen Lehren, die Trotzki in seiner Theorie der permanenten Revolution gezogen hatte und vertrat. Als die LSSP diese Perspektive zurückwies, passte sie sich zugleich immer deutlicher an die nationale Bourgeoisie an. Tief enttäuscht wandten sich tamilische Arbeiter und Teile der Mittelklasse von ihr ab, so dass bürgerlich-nationalistische Tendenzen unter ihnen Einfluss gewinnen konnten.

Die Zuversicht in ein sozialistisches Programm, das auf der Einheit der singhalesischen und tamilischen Arbeiter und Landbevölkerung basiert, wich allmählich der Perspektive einer ausschließlich tamilischen Bewegung und eines eigenen Tamilenstaates. Dieser Trend setzte sich damals überall auf der Welt durch - der Kampf gegen nationale Unterdrückung wurde nun gleichgesetzt mit dem Kampf für die Schaffung nominell unabhängiger Staaten, die auf ethnischem Separatismus basierten. Aus diesem Prozess heraus entstand die LTTE. Ihr Vorbild waren diverse andere Bewegungen wie die PLO und die Sandinistas, die in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren gewisse Erfolge und eine gewisse Popularität erlangten.

Alle Faktoren, die in den brutalen 17jährigen Bürgerkrieg münden sollten, waren nun gegeben.
In erster Linie liegt die Verantwortung bei der singhalesischen Bourgeoisie, die den srilankischen Staat auf rassistischen Grundlagen aufgebaut hatte. Doch zugleich spielte auch der groteske Opportunismus der Arbeiterbewegung eine ausschlaggebende Rolle. Das Zusammenwirken dieser beiden Faktoren ließ die Entstehung einer sezessionistischen Bewegung unvermeidbar werden.

Die vergangenen 17 Jahre bilden eine einzige grausame Illustration der bis ins Mark verfaulten Grundlagen des srilankischen Staates. Sie bestätigen auf tragische Weise, im negativen, die von der BLPI und der LSSP in den vierziger Jahren vertretene Perspektive.

Die sozialistische Bewegung widersetzt sich kompromisslos jedem Versuch, die Einheit des srilankischen Staates durch die politische Unterdrückung des tamilischen Volkes aufrechtzuerhalten, und fordert den sofortigen und bedingungslosen Abzug aller Regierungstruppen aus dem Norden und Osten der Insel.

Zugleich beweisen die umfangreichen Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts, dass die Perspektive der LTTE, d.h. ein unabhängiger Tamilenstaat, den tamilischen Massen keinen Ausweg aus ihrer historischen Bedrängnis bietet.

Eine solche "Unabhängigkeit" bedeutet inzwischen, wenn sie Realität wird, die Unterordnung unter die
ökonomischen und strategischen Interessen der einen oder anderen bürgerlichen Macht. Sämtliche Länder Südasiens sind zum Objekt der Begierde konkurrierender Regionalmächte geworden - von Indien bis Pakistan und China, von den großen imperialistischen Mächten in Nordamerika und Europa ganz zu schweigen. Ein "unabhängiges" Eelam würde dasselbe Schicksal erleiden wie Bangladesch, es würde zu einer schrecklichen Falle für die unterdrücken Massen. Das Höchste, was Prabakharan als Führer der LTTE erhoffen darf, besteht entsprechend ihrer politischen Orientierung darin, als Bittsteller des US-Imperialismus in die Fußstapfen von Yassir Arafat auf dem Rasen des Weißen Hauses zu treten.

Die Probleme der Massen Südasiens können nur auf der Grundlage einer gründlich ausgearbeiteten internationalen Perspektive gelöst werden. Die srilankische Arbeiterklasse - singhalesisch wie tamilisch - muss die revolutionären Prinzipien wieder entdecken, für welche die trotzkistische Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg gekämpft hat.

Diese internationalistischen Prinzipien bilden den Kern des Kampfes für Vereinigte Sozialistische Staaten von Sri Lanka und Tamil Eelam, wie ihn, als srilankische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die Socialist Equality Party vertritt.

Inmitten der militärischen Katastrophe, welche die Insel erfasst, muss die srilankische Arbeiterklasse die Lehren aus den bitteren Erfahrungen des letzten halben Jahrhunderts erfassen. Sie muss beginnen, als unabhängige Kraft zu handeln. Sie muss für den Zusammenschluss der Arbeiterklasse und unterdrückten Massen des gesamten indischen Subkontinents auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Perspektive kämpfen. Nur auf diesem Wege können die komplexen politischen Probleme von heute angegangen werden.

Dieser Bericht ist aus der neuen englisch-sprachigen Zeitschrift World Socialist Web Site Review



 
 
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